Interview mit Trainer und Physiotherapeut Bernd Rose: „Was letztendlich alle verbindet, sind die Emotionen am Renntag“
8. Juni 2016 www.wechselszene.com
In Prien am Chiemsee hat Bernd Rose eine Praxis für Physiotherapie und Osteopathie. Daneben ist der Familienvater als Trainer tätig. Dass bei dem Programm nicht mehr viel Zeit für das eigene Training bleibt, scheint verständlich. In diesem Jahr jedoch greift der lange Zeit erfolgreiche Triathlet wieder an. Wir haben uns mit ihm über Familie, Job und Sport unterhalten.
Hallo Herr Rose, das Problem, Familie, Beruf und Sport zu vereinen kennen sicher viele Hobbysportler. In ihrer Erfahrung als Physiotherapeut – hat dieser Stress vielleicht sogar körperliche Auswirkungen?
Stress hat ja auf eigentlich alle Systeme und Funktionen des Körpers Auswirkungen- positive wie negative. Darum gilt es, ein Bewusstsein zu entwickeln, wie viel an Stress gut ist, und wie viel an Stress dann tatsächlich negative Auswirkungen auf den Mensch und sein Wohlbefinden hat. Denn es betrifft ja nicht nur den Bewegungsapparat, sondern auch Stoffwechsel, Immunsystem, Hormonhaushalt, Vegetativum und Psyche. Je höher die Anforderungen sind, desto wichtiger ist ein sensibler Umgang mit sich und seinem Körper- wer das beherzigt, profitiert nicht nur im Sport, sondern auch im Alltag.
Erstmals starten sie dieses Jahr beim Chiemsee Triathlon, zugleich ist das das erste Rennen nach langer Wettkampf-Abstinenz. Wie kam es zu der Entscheidung und was erwarten sie sich von dem Rennen?
Unsere beiden Kinder waren ja jedes Jahr als Zuschauer beim Chiemsee Triathlon mit dabei, und unser Großer wollte unbedingt auch einmal bei einem Triathlon mitmachen. Voller Begeisterung hat er letztes Jahr dann, mit fünf Jahren, seine ersten Swim&Runs mitgemacht. Es gibt ja viele Triathlons, die, wie der Chiemsee Triathlon, in schönen Urlaubsgegenden stattfinden. Ich fand die Idee, zusammen mit der Familie einen Triathlon mit Urlaub zu verbinden, sehr schön. Ein paar Tage zelten, nebenher sporteln, jeder feuert den anderen an – das kann ich mir gut vorstellen.
Was mich am Chiemsee Triathlon vom ersten Tag an beeindruckt hat, ist die Unterstützung und Begeisterung der ganzen Region. Wahnsinns Stimmung beim Schwimmausstieg und ganze Dörfer, die Straßenfeste machen, gepaart mit professioneller Durchführung. Und trotzdem herrscht ein sehr persönliches Ambiente.
Es steht ja noch ein Fragezeichen hinter meinem Start beim Chiemsee Triathlon, da wir am 29. Juni, also drei Tage später, offiziellen Geburtstermin für unser drittes Kind haben. Mal schauen, wie es klappen wird, mit dem Timing;-)
Die Entscheidung, eine Sport Pause einzulegen, fällt nicht immer leicht. Warum haben sie sich dazu durchgerungen und welche Gründe kennen sie aus ihrer beruflichen Sicht?
Ehrlich gesagt fiel die Entscheidung, mit dem Leistungssport aufzuhören, sehr leicht. Wir haben ja beide den Triathlonsport sehr professionell betrieben, aber als wir uns kennen lernten, war für uns sehr schnell klar, dass wir gemeinsam einen neuen Lebensabschnitt beginnen wollen. Die letzten Jahre waren ausgefüllt mit Familie, den Kindern, Selbstständigkeit. Neue Rollen, neue Verantwortung. Es war eine sehr intensive und schöne Zeit; selbst Sport zu machen, habe ich nicht vermisst. Eher sogar genossen:-)
In dieser Zeit habe ich aber eine neue Begeisterung entwickelt dafür, meine Erfahrung aus dem Sport und dem Beruf zu kombinieren, und begonnen Sportler, speziell im Triathlon, zu trainieren. Das macht wirklich Spaß, wenn man sieht welche Erfolge möglich sind durch individuell konzipiertes Training!
Beruflich werde ich natürlich sehr häufig mit den Schattenseiten des Sports konfrontiert. Im Triathlon sind das in erster Linie Beschwerden durch Überlastung. Zu viel oder falsches Training mündet früher oder später fast immer in Überlastungsproblemen, zum Teil vielschichtiger Natur. Hier gilt es wirklich, das Problem differenziert zu betrachten und zu analysieren, auf körperlicher wie auf systemischer Ebene. Meistens sind Veränderungen in der Trainingsgestaltung notwendig: mehr Technik, weniger Umfang, gezielter Einsatz der Intensitätsbereiche, Athletiktraining. Erst bei schwerwiegenden strukturellen oder chronischen Beschwerdebildern ist wirklich eine Pause notwendig.
Im Rahmen des Local Heroes Projekts des Chiemsee Triathlon machen sie Einsteiger und Sport-Neulinge fit für ihren ersten Triathlon. Was ist die Herausforderung an so einem Projekt?
Zuerst einmal wollen wir die Sportler möglichst genau kennen lernen, um zu wissen wo die Schwächen und wo die Stärken des Einzelnen liegen. Das ist schließlich die Grundlage für die gesamte Trainingsplanung. Wichtigste Aufgabe für uns als Trainer ist es dann, den Athleten ein Gespür zu vermitteln, was strukturiertes Training bedeutet. Effektives Training zeichnet sich aus durch das gezielte Einsetzen der verschiedenen Intensitätsbereiche, keine Einheit gleicht der anderen, und jede Einheit verfolgt ein bestimmtes Ziel. Schöner Nebeneffekt ist, dass das Training dadurch sehr abwechslungsreich gestaltet werden kann, und als nicht so eintönig empfunden wird.
Gerade für Einsteiger ist es schon eine Herausforderung, über diese lange Zeit kontinuierlich am Ball zu bleiben und regelmäßig zu trainieren, und diese Abwechslung im Training hilft die Motivation hoch zu halten.
Welche Geschichten bleiben bei so einem Projekt besonders im Kopf?
Hinter jedem Sportler steckt eine eigene Geschichte. Heuer zum Beispiel, haben wir mit Veronika eine Athletin am Start, die trotz ihrer Handicaps und körperlichen Einschränkungen mit wahnsinnigem Ehrgeiz an das Projekt rangeht. Hier ist die Aufgabe eher einbremsen statt motivieren. Was aber letztendlich alle verbindet, sind die Emotionen am Renntag. Die Aufregung, die Vorfreude,die Selbstzweifel, und zuletzt dann die Begeisterung an der Ziellinie, Stolz, Glück, Freude- unter dem Applaus der vielen vielen Zuschauer werden hier wahnsinnig positive Emotionen freigesetzt.
Ein echtes Gänsehaut Gefühl für die Sportler, ich selber bin aber meistens mindestens genau so aufgeregt wie die Sportler und fiebere und freue mich mit.
Als Physiotherapeut und Trainer hat man umfassende Erfahrung mit Sportlern. Was würden sie gerade Einsteigern mit auf den Weg in Richtung ihrer ersten Ziellinie geben?
Gerade bei Einsteigern muss in erster Linie der Spaß im Vordergrund stehen, kein Ergebnis. Gerade für diejenigen, die zum ersten Mal am Start eines Triathlon stehen, ist ein Triathlon eine komplexe Herausforderung. Angefangen von den Unwägbarkeiten wie Wellen, Wassertemperatur und schlechtem Wetter am Renntag, über die Aufregung in der Wechselzone und den Wechseln, bis hin zur Gefahr, im Wettkampf zu überziehen, weil plötzlich hunderte oder sogar tausende Zuschauer anpeitschen. Hier gilt es, sich im Vorfeld auf alle Eventualitäten vorzubereiten und durchzuspielen. Für uns als Trainer ist das natürlich eine der Hauptaufgaben, unsere Athleten da bestens vorbereitet an die Startlinie zu schicken.
Wenn in der Woche vor dem Rennen die Aufregung steigt und die Wehwehchen plötzlich schlimmer werden- Was würden sie einem Athleten wenige Tage vor dem Sprung in den Chiemsee Triathlon raten? Gibt es Hilfe in der letzten Minute?
Durchs Training bedingte Wehwehchen sollten in der letzten Woche vor einem Triathlon idealerweise gar nicht auftreten- in der letzten Woche wird ja im Vergleich zu all den voran gegangenen Wochen nur noch sehr wenig trainiert. Wenns doch zwickt, ist das meist Resultat innerer Anspannung, Aufregung und natürlich auch Zweifel. Hier gilt es vor allem Ruhe zu bewahren, und auf die gute Form zu vertrauen, die man sich in der Vorbereitung erarbeitet hat. Keinesfalls sollte man versuchen, sich krampfhaft durch gesteigertes Training in den letzten Tagen noch in Form zu bringen- das rächt sich am Wettkampftag. Stattdessen sollte man sich mit den Gegebenheiten vertraut machen, Ausstieg aus dem Wasser, Laufwege, Orientierung in der Wechselzone, Wettkampfbesprechung, und natürlich die fantastische Stimmung rund um ein Event genießen.
Vielen Dank für das Interview!